|
»Je weiter sie das Ufer hinter sich lassen,
desto mehr frischt der Wind auf. Majestätisch schieben sich dunkelgraue Cumuluswolken über die Bucht und lassen nur ab und zu noch einige Sonnenstrahlen durch. Die langestreckte Küste von Long Island im Norden liegt zwar noch in vollem Glanz, doch in wenigen Minuten wird auch der verlöschen. In seinem Pullover beginnt Ramón etwas zu frösteln, während das Boot sich ungewohnt stark neigt und krachend auf die Wellen schlägt.
Keine Angst. So schnell kippen wir nicht. Sherman Redwood schiebt die Pinne sanft ein Stück von sich, so dass die Yacht sich aus der brenzligen Schräglage wieder aufrichtet, und das Großsegel ein wenig zu flattern beginnt. Redwood zieht kurz an einer Leine, was das Segel zu beruhigen scheint. Ramón schaut verunsichert am Mast hoch. Die Regeln und Gesetze hier auf dem Wasser sind ihm völlig unklar. Verkrampft hält er sich an der Reling fest und überlegt, weshalb Redwood ihn überhaupt hierhin eingeladen hat.
Was will der Pate der Sicherheitspolitik, wie Redwood meist achtungsvoll genannt wird, eigentlich von ihm? Der Mann ist sowas wie eine Legende, obwohl ihn die breite Öffentlichkeit kaum kennt. Er ist in den letzten 50 Jahren Berater verschiedener Präsidenten gewesen und auch heute noch hat seine Meinung Gewicht bis in die höchsten Kreise. Redwood gilt zudem als etwas verschroben. Ein introvertierter Intellektueller, gesellschaftlichen Aktivitäten eher abgeneigt. In einem seiner seltenen Interviews hatte er angegeben, in seiner Freizeit Rosen zu züchten. Und offensichtlich liebt er auch kipplige Yachten.
Das Wendemanöver gerade eben läßt Ramons Magen jedenfalls erneut zusammenkrampfen, denn das Boot legt sich bedrohlich auf die Seite. Redwood scheint das zu freuen, er pfeift fröhlich durch die Zähne. Gefällts Ihnen nicht Ramón? Sie müssten doch Schieflagen und Trubel gewohnt sein.
Allerdings. Nur baden gegangen bin ich bisher glücklicherweise noch nicht.
Man muss eben schwimmen können. Redwood hantiert mit den Leinen, anscheinend im Begriff, ein weiteres Segel zu setzen. Ich höre, Ihre Eltern kommen aus Mexiko. Sie haben ziemlich viel erreicht für ihr Alter. Haben Sie noch Kontakt nach drüben?
Nein. Für meine Verwandtschaft dort unten bin ich wohl das schwarze Schaf. `Unternehmensanwalt´ gehört da eher in den Bereich der Schimpfworte.
Redwood bleckt die Zähne. Kann ich verstehen. Sie nicht?
Klar, Ramón lächelt selbstbewußt zurück, und ehrlich gesagt, ich habe auch langsam die Nase voll von dem Job.
MDG macht Probleme, was?
Kann man sagen. Auf die kommt einiges zu.
Haben ihre Hände in zu vielen Taschen, die Jungs. Drei Milliarden. Ich war ja früher selbst dabei. Aber so dreist sind wir damals nicht gewesen. Erstaunlich, was man aus einem kaputten Land noch alles rausholen kann, oder?
Es ist nicht ganz klar, ob Redwood damit den Irak oder die USA meint. Vielleicht beide. Jedenfalls weiß er offensichtlich Bescheid über die verschwundenen Milliarden. Ramón wird etwas unwohl.
Hören Sie, mein Junge, ich habe ein etwas heikles Anliegen. Kann ich auf Ihre Verschwiegenheit zählen? Auf Ramons beklommenes Nicken hin fährt er fort. Sie wissen, ich kenne eine Menge Leute. Bei mir kommt alles an, da bleibt nichts lange geheim. Der Alte betrachtet ihn prüfend. Es ist nämlich so, ich brauche einen Mann mit Ehrgeiz und Charakter, für eine Sondermission gewissermaßen. Sie wurden mir empfohlen.
Ramón wird etwas schwindlig, zumal das Boot sich unter einer Bö wieder gefährlich auf die Seite legt. Eine Sondermission, Sir?
Ja, Sie würden mir einen Gefallen tun. Und Ihrem Land auch.
|
|